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Ungerührt wird wohl niemand den Gerichtssaal verlassen, wo der Doppelprozess des Schönberger Passionsspiels stattfindet. Von Gerichtssaal kann im Grunde nur die Rede sein, wenn man den Saal vor Augen hat, in dem das Passionsspiel 2007 stattfindet. Viel Passion und wenig Spiel, möchte ich sagen; denn es wird viel gelitten, es wird viel Leid zugefügt, und kann, ja darf man das „spielen“? Tatjana und Jesus heißen die beiden Angeklagten. Ihnen wird der Prozess gemacht. Nicht beide werden zum Tod verurteilt, aber beide sterben. Wieso? Von dem einen wissen wir alle wieso und warum. Oder wissen wir es doch nicht so genau? Es lohnt sich, der Frage nachzugehen. Tatjana ist eine Unbekannte. Es gibt so viele Tatjanas. Es gibt viele Frauen, die dasselbe Schicksal ereilt.
Es lohnt sich, hinzugehen und sich auf das „Passionsspiel“ einzulassen. Ähnlichkeiten mit den Zuschauern (oder besser: Mitleidenden) bekannten Personen sind keineswegs ausgeschlossen. Ich habe von einem Doppelprozess gesprochen. Richtiger heißt es im Prolog: zwei Passions-, also Leidensgeschichten. Zwar liegen 2000 Jahre zwischen beiden, doch damals wie heute bleibt es ein risikoreiches Unterfangen, sich für die Schwachen, Armen und Unterdrückten einzusetzen.
Vor 2000 Jahren fragte Pilatus: Was ist Wahrheit? Heute fragt Tatjana, fragen Millionen von Menschen in allen Erdteilen: Was ist der Mensch wert? Was ist Gerechtigkeit? Was ist Menschenwürde? – Das ist in meinen Augen eine andere Art, nach der Wahrheit zu fragen.
Gehen Sie hin und lassen Sie sich „berühren“! Sie werden Passion erleben und Sie werden eine entscheidende Wahrheit mit nach Hause nehmen: Im Tod ist das Leben! Heute wie vor 2000 Jahren!
+ Aloys Jousten
Bischof von Lüttich
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