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Kirchenzeitung Aachen
von Eva-Maria Knappe
Der kleine belgische Ort Schönberg bei St. Vith lädt den gesamten März zu Passionsspielen ein, dieses Jahr zum vierten Mal. Die KirchenZeitung berichtet von den Proben.
Fast wirkt die Szene schon perfekt. Auch wenn Jesus und seine Jünger noch in Jeans, Pullovern oder Sporthemden spielen.

Wie der Laienspieler Lothar Krämer als Jesus niederkniet und den einzelnen in der Runde die Füße wäscht, mitfühlend und würdevoll, da haben die Beobachter im Freizeitzentrum von Schönberg schon den Eindruck, diese Situation haben die Darsteller verinnerlicht. Und auch die Keksdose, die Jesus statt einer Schüssel daraufhin für das Brot des Abendmahls holt, beeinträchtigt den Ernst der Szene nicht. Und dann erklärt Jesus: "Einer von euch wird mich verraten." - "Doch nicht etwa ich?", fragen die Jünger im Chor - und sitzen weiterhin gemütlich in der Runde. Das erscheint dem Regisseur unpassend; er klatscht in die Hände, geht ein paar Schritte auf die Bühne zu. "Nein, nein, den Part nochmal. Ihr müsst lauter reden und entsetzter reagieren." Also wiederholen die Schauspieler die Szene. Als Jesus jetzt auf seinen Verrat hinweist, rufen die Jünger erschrocken: "Doch nicht etwa ich?" und rücken betroffen vom Tisch ab, anstatt wie vorher kumpelhaft beisammen zu hocken.
Die rund 40 Laienspieler der Passionsspiele 2007 in Schönberg üben seit November 2006 an der Aufführung "Der Prozess". Das Stück soll die Geschichte um Jesu Leben und parallel eine vergleichbare Situation in der heutigen Zeit darstellen. Daher wechseln immer wieder biblische Szenen mit Szenen aus dem heutigen Leben der Asylantin und Gesellschaftskritikerin Tatjana Kascinsky (Claudine Schröder) ab. Der Regisseur Alfons Velz gibt sein Okay zur Abendmahlsszene, dreht sich um und winkt mit der Hand ein paar der Leute, die bisher scheinbar "nur" als Zuschauer in der alten, ausrangierten Couchgruppe saßen und sich die klassische Szene ansahen.
Sie sind jetzt gefragt, denn es folgt die Szene "Demonstration". Eine Gruppe Frauen betritt die Bühne. Tatjana geht in ihrer Mitte. Sie tragen Spruchbänder, auf denen Sätze wie "kein Blut für Öl" stehen. Tatjana protestiert dagegen, dass die Regierung Erdölverträge mit Ländern abgeschlossen hat, die die Menschenrechte nicht achten. Sie startet eine Anti-Gewalt-Kampagne. Ihr selbst droht deswegen die Abschiebung. Doch sie lässt sich nicht entmutigen. Sie arbeitet weiter mit ihren Mitkämpferinnen. Sie rufen den Satz "Wir wollen keinen Krieg". - Das Publikum versteht den Satz nicht und ruft dazwischen. "Es stimmt, es ist hier nicht gut zu hören", sagt Regisseur Velz und wendet sich kurz an die Mädchen und Frauen, die auf Sofas und in Sesseln sitzen. Lachend meint er: "Ihr erinnert mich an Tricoteusen in der Französischen Revolution, die von ihrer Strickerei nur kurz bei der Guillotinierung aufschauten." Alle müssen lachen, einige der Frauen sitzen ja strickend da. Spieler proben wie in großer Familie. Wer hier zuschaut, hat den Eindruck, einer großen Familie beim Proben zuzusehen. Die Gruppe Frauen um Tatjana betritt erneut die Bühne, laute Schritte, selbst Stampfen ist jetzt zu hören. Die Frauen verteilen sich überall auf der Bühne und rufen laut: "Kein Krieg für Öl" und "Frieden schaffen ohne Waffen". Publikum und Regisseur stimmen nun der Szene zu.
Jetzt machen alle eine Pause, trinken eine Tasse Kaffee und essen etwas Gebäck. "Am Anfang denkt man oft, es geht nicht. Dann mit der Zeit läuft es. Es ist schön, wie wir so zusammenwachsen", sagt ein Teilnehmer. Die Laienspieler kommen aus der gesamten Deutschsprachigen Gemeinschaft, nicht nur aus Schönberg. Das persönliche Engagement ist groß. Insgesamt sind etwa 100 freiwillige Helfer im Einsatz. Die Kostüme werden alle kostenlos von Mitarbeitern geschneidert. Wieder andere fahren weit in der Region herum und verteilen Plakate über die Passionsspiele.
Damals wie heute endet der, der sich für die Menschen gegen die Mächtigen und Macht-Interessen einsetzt, in Tod und Zerstörung. Jesus stirbt am Kreuz, Tatjana im Hungerstreik während der Ausweisungshaft. Zuvor ringt sie mit ihrem Weg - Gewalt oder Gewaltlosigkeit. Dazu üben die Schauspieler die Szene "Das Vermächtnis" ein. Tatjana und ihre drei Freundinnen Stephanie, Katja und Ruth diskutieren über die Auswirkung ihrer ersten Aktionen. Tatjana fragt nachdenklich in die Runde: "Ich weiß nicht, ob das alles so ein Erfolg war." Die andern drei wollen ihr Mut machen. Heftig erklärt da Katja: "Ach was, wir sind viel zu brav. Ich finde, wir sollten mit kleinen Sabotageakten beginnen." Stephanie ist vehement dagegen: "Gewalt erzeugt nur neue Gewalt." Ruth nimmt die Bibel zur Hand und plädiert so für Gewaltlosigkeit. "Du glaubst also an die Kraft des heiligen Geistes?", fragt Tatjana. - "Oh ja!", antwortet Ruth, "es ist ein Prozess, oft ein harter Kampf mit Anfechtungen. Aber es lohnt sich!"
Es ist eine Szene, die besonders den inneren Kampf und die Entwicklung Tatjanas darstellt. "Es gab ursprünglich die drei Freundinnen nicht, sondern nur eine Tatjana. Doch wir teilten die Rolle der Tatjana in vier Personen auf, um die Konflikte, die sich in Tatjanas Innern abspielen, besser darstellen zu können", erklärt Regisseur Velz. "Wir verändern den Text immer, besonders auf der modernen Ebene."
Velz hat eine spezielle Methode für die Proben entwickelt. Zu Beginn der Probezeit mit der ersten, noch nicht endgültigen Textfassung, lässt er die Spieler ihre Rolle wie Lose ziehen. "Jeder muss überlegen und fünf Kernsätze zu dieser Rolle sagen. Dabei kommt Erstaunliches heraus. Irgendwann frage ich: Wer möchte denn was spielen?" So finden die Leute zu den Rollen, die zu ihnen passen. Sie üben die Rollen zunächst für sich ein, auch da kann jeder den Text - in Absprache mit dem Regisseur - verändern.
Dann proben sie gemeinsam. "Bei der Vorbereitung und den Proben verändern wir uns alle. Wir sind in Bewegung", erklärt Velz. "Wir machen selbst einen Prozess durch." Entwicklung scheint das große Stichwort zu sein - für die Mitspieler, für den Glauben, für den Text selbst.
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